Mittwoch, September 09, 2009

Charles Manson & Helter Skelter: Keine Hippieveranstaltung

Wissen Sie, welcher Häftling weltweit die meisten E-Mail-Zuschriften erhält? Nicht schwer zu raten, sein Name steht in der Überschrift.

Der nur 1,63 große, äußerst aggressive und mehrfach vorbestrafte Rassist Charles Manson (bei dieser Abbildung bitte nicht erschrecken) und seine nach ihm benannte "Family", die aus eingeschüchterten und drogenabhängigen Teenagern sowie weiteren Kriminellen bestand, stehen wohl für die entscheidende Zäsur in der Hippie-Bewegung und deren jähes Erwachen aus allen Träumen - nach Ansicht einiger Musikhistoriker ist Manson auch ihr Totengräber.

Das 40-jährige Woodstock-Jubiläum wurde in diesem Jahr weltweit - ob zu Recht oder Unrecht - rauf und runter gefeiert, auch am Originalschauplatz in White Lake bei Bethel im Bundesstaat New York. Für meinen Teil würde ich, der damals Jugendlicher war, sagen: Musik okay (auch heute noch), ansonsten endlich abhaken. Wenn manche Oldies wehmütige Reminiszenzen an Hippiezeiten haben, kann ich das zwar nachvollziehen, aber mehr als eine Sehnsuchtsblase, die immer wieder den „Totalen Frieden“ beschwört, ist das auch nicht mehr.

Manche Zeitgenossen wollen Woodstock und die Hippiebewegung generell in irgendeinen Zusammenhang zu den grauenhaften Morden stellen, die im selben Jahr von Mansons „Family“ und ihm an Roman Polanskis Frau Sharon Tate u.a., darunter auch dem Ehepaar LaBianca, begangen worden waren. Und je länger die Ereignisse zurückliegen, desto wilder blühen die Spekulationen. Eine der am häufigsten kolportierte ist die, dass Charles Manson, der sich während der Haft ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowiert hatte, zu den Morden besonders vom Beatles-Song Helter Skelter aus dem berühmten White Album inspiriert worden sei (Helter Skelter meint in Deutsch eine spiralförmige Rutsche in englischen Vergnügungsparks wie in der Abbildung oben aus dem 19. Jahrhundert; Manson kannte diese aus dem Britischen kommende Bedeutung nicht. Als Amerikaner übersetzte er mit Holterdiepolter, Chaos).

Und tatsächlich meinte Manson aus diesem Song, den er oft auch rückwärts abspielte, eine Botschaft herauszuhören, die seiner Meinung nur für ihn gedacht gewesen sei (später auch eine beliebte Methode, die man bei Black Sabbath, Judas Priest u.a. anwandte): Die Beatles, für ihn gleichbedeutend mit den 4 Engeln der Apokalypse, hätten den Song geschrieben, um auf unmittelbare Rassenunruhen hinzudeuten, die noch 1969 von der schwarzen Bevölkerung angezettelt werden würden. Am Ende stünde ihr Sieg gegen die Weißen. Aufgrund ihrer „unzulänglichen Rasseeigenschaften“ (hier begegnet uns übrigens auch Rudolf Steiners theosophischer Rassismus, wenn auch aus einer ganz anderen Ecke) wären sie jedoch unfähig, sich selbst zu führen. Deshalb würden sie ihn zu ihrem neuen Anführer wählen und zum Herrscher über die Welt machen. Das Ende käme dann, wenn Jesus und die 4 Engel (Beatles) sie in die Seligkeit entführten, wobei noch zu klären war, wie das vonstatten gehen sollte, wenn Manson sich für Satan und Jesus in einer Person hielt.

Man muss schon enorm obskure Fantasien entwickeln, um zu solch bizarren Schlüssen zu kommen; und ebenso verrückt mussten seine Anhänger sein, die mit ihm auf seine Ranch zogen, eine ehemalige total heruntergekommene Westernkulisse nahe Los Angeles. Gruppensex und LSD boten Manson die Gewähr, dass er seine Leute zusammenhalten konnte.

Manson und seine Verbrechen: Ein Produkt der Hippie-Bewegung?

Hatte der Song Helter Skelter ihn zum Mord getrieben? Dieser Standpunkt wird oft von Menschen vertreten, die das Böse bzw. böses Handeln gerne und oft ausschließlich nach außen verorten - an Satan, seine Einflüsterungen und alle möglichen anderen Versuchungen, nur nicht an die (Un-) Tiefen der eigenen Seele....

Das kann man so einfach nicht stehen lassen. Erstens ist jeder Mensch für seine Taten selbst verantwortlich, so lange er diese bewusst und/oder aus freien Stücken verübt. Zum Zweiten kam Manson mit zig-Strafstaten schweren Kalibers im Gepäck nach Los Angeles; er war also alles andere als unbeleckt, was kriminelle Energie betraf. Drittens gab es in der Hippieszene - von kleinen Gesetzesverstößen abgesehen, kein Verbrechen dieser Art. Altamont mit den Stones und dem Mord der Hells Angels an einem Konzertbesucher passierte Monate später und blieb ein Einzelfall. Die Stones verhielten sich damals aber sehr unverantwortlich.

Festzuhalten bleibt, dass aus der Vermischung zwischen Hippiebewegung und oft erschreckend infantiler Jesuskultur dubiose Gruppen wie die „Kinder Gottes“ (auch Mo-Sekte genannt), hervorgingen, die immer tiefer ins kriminelle Milieu abdrifteten - Flirty Fishing, um nur ein Beispiel zu nennen. Dass aus diesen Kreisen auch einzelne Mitglieder in Kontakt mit Manson und seiner „Family“ kamen und dort kurze oder längere Zeit verweilten, trifft zweifelsfrei zu. Dazu kam, dass der Bandenführer eine überaus starke und negative Anziehungskraft ausübte. So gaben ehemalige Mitglieder der „Family“ an, dass sie sich seiner Ausstrahlung - besonders seinem durchdringendem Blick - kaum entziehen konnten.

Mordmotiv: Verschmähte Eitelkeit

Manson war mit Dennis Wilson von den Beach Boys in Kontakt gekommen und wurde des Öfteren in dessen Haus eingeladen, wo es natürlich zu den obligatorischen Kiff-, LSD- und Sauforgien kam. Wilson hatte Manson ein wenig Hoffnung gemacht, dass er ihm eventuell einen Plattenvertrag vermitteln könne, und er arrangierte ein Treffen mit dem versnobten Sohn Doris Days, dem Musikproduzenten Terry Melcher. (Manson hielt sich für einen großen Songschreiber und Sänger; eine komplette Fehleinschätzung, auch wenn Wilson einen von Mansons langweiligen Songs auf einer Single-B-Seite veröffentlichte).

Melcher ließ jedoch Manson jedoch ziemlich kühl abblitzen. Von nun an reiften Mansons Mordpläne: Er wollte es dem L.A.-Establishment heimzahlen. Ungestraft sollte man ihn nicht brüskieren dürfen. Er schickte Gruppenmitglieder zum Haus Melchers. Sie sollten ihn und seine Familie töten. Der wohnte dort aber nicht mehr – Roman Polanski hatte zwischenzeitlich das Haus erworben. Der Rest ist bekannt.

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