Samstag, Juli 04, 2009

Michael Jacksons Juden

Damit wir uns richtig verstehen: Als Woodstock-„Geschädigter“ interessiert mich Michael Jackson musikalisch nur marginal, mal ganz abgesehen davon, dass er Prince, der oft mit ihm verglichen wurde, musikalisch nie das Wasser reichen konnte. Auch der Budenzauber, der allerorten und nicht nur hier um ihn veranstaltet wird, lässt mich kalt. Ehrlich gesagt konnte ich den Mann nie ausstehen.

Ja, was bleibt? Ein Mensch, das nie erwachsen werden wollte, vielleicht auch deshalb, weil man ihm in seiner Kindheit übel mitgespielt hatte. Aber diese Geschichten kennen wir alle in der einen oder anderen Variante - und haben wir nicht auch unsere ganz speziellen Entschuldigungen, wenn wir uns weigern, Verantwortung für eigene Verfehlungen zu übernehmen?

Apropos Verfehlungen: „Jackos“ streng riechende antisemitische Seite sollte bei all dem Hype, der um seine großartige Karriere veranstaltet wird, nicht vergessen werden: Einen seiner surrealen Skandale provozierte er im Jahr 2005, als Tonbandaufnahmen aus der Zeit der Gerichtsverhandlungen auftauchten, auf denen er sich antisemitisch äußerte*. Er bezeichnete Juden als „Blutsauger“ und sprach davon, dass „die Juden gezielt ein Komplott“ gegen ihn initiiert hätten. Die Anti-Defamation Legue (ADL) hatte Jackson damals aufgefordert, sich von seinen Aussagen zu distanzieren und für den „verletzenden und hassgetränkten“ Inhalt zu entschuldigen. ADL-Vorsitzender Abraham Foxman damals: „Es ist traurig, dass Jackson mit den klassischen Vorurteilen über Juden infiziert ist, sie seien allmächtig, geldgierig und manipulativ.“

Auch Rabbi Eric Yoffie sieht Jacko ein wenig anders als ungezählte und unkritische Fans weltweit das gerne hätten. Sein Kommentar spricht mir aus der Seele. Castollux hat ihn ins Deutsche übertragen.



Michael Jackson und die Juden
Eric Yoffie

Michael Jackson war ein Musiker mit unerschöpflichem Talent und vielleicht der größte Solist unserer Zeit. Er erfand die Popmusik neu und produzierte die bestverkauften Alben weltweit. Er war auch ein Mann mit riesigem Vermögen, der eigenen Angaben zufolge seine Prominenz dazu nutzte, Kinder zu sich einzuladen und das Bett mit ihm zu teilen. Auch wenn er niemals des Kindesmissbrauchs überführt worden war offenbarte die Gerichtsverhandlung gegen ihn und die Zeit danach sein absolut verwerfliches Verhaltensmuster den eigenen Kindern und anderen gegenüber, die ihm anvertraut worden waren.

In unserer auf VIP-Rummel fixierten Epoche überrascht es nicht, dass wir niemals daran dachten, Michael Jackson nach Standards zu beurteilen, die wir uns selbst auferlegen. Jackson wurde (wird) von seinen Fans heftig verteidigt; sie sehen in ihm ein Symbol der Unschuld und beharren darauf, dass er mehr Opfer als Täter (wenn überhaupt) war. Nun, da er tot ist, ist es dann für jene, die im Namen der jüdischen Gemeinde sprechen, wirklich angebracht, sich der Lobhudelei anzuschließen und nach Entschuldigungen für seine Verfehlungen zu suchen?

Jacksons Beziehung zur jüdischen Gemeinschaft war kompliziert - gelinde gesagt. Einige haben behauptet, er sei Antisemit gewesen, doch das ist unklar. Er war jedoch ein cleverer Marketingspezialist und Opportunist, der antijüdische Kommentare zu seinem Vorteil nutzte. Sein 1995 veröffentlichter Song "They Don't Care About Us" enthielt die Zeile: "Jew me, sue me, everybody do me, kick me, kike me." (Sinngemäß: "Macht es auf die jüdische Art, verklagt mich, alle von euch, schlagt mich, saugt mich einfach aus.” Protest blieb nicht aus, da jeder wusste, dass eine (juristische) Klage fällig war.

Zunächst flüchtete sich Jackson in eine umständliche Erklärung mit dem Argument, der Songtext habe nicht gemeint, was er doch ziemlich deutlich aussagte. Schließlich bot er eine Entschuldigung an, was ihm Beifall einer dankbaren jüdischen Gemeinde einbrachte. Im Verlauf der Kontroverse generierte der Vorfall dann immense Werbeeffekte und hohe Verkaufszahlen. Dieses Muster sollte sich noch mehrere Male wiederholen.

Nach Jacksons Tod war die jüdische Presselandschaft und Blogosphäre voll mit stolzen Berichten jüdischer Autoren und prominenter Persönlichkeiten, die Jackson einmal begegnet waren, mit ihm die Synagoge besucht, über jüdische Musik gesprochen und ihm ihre Kinder vorgestellt hatten. Es wurde sogar behauptet, dass seine zweite Frau und zwei seiner Kinder jüdischen Glaubens seien. Ein Blogger, bekannt für seinen einfühlsamen und besonnenen Kommentarstil, verglich Jackson mit dem biblischen Joseph.


Der mit Abstand am häufigsten gelesene Artikel über Michael Jackson aus einer jüdischen Quelle stammt von Shmuley Boteach, einem orthodoxen Rabbiner und Freund Jacksons. Darüber hinaus wurden Boteachs Kommentare auch über einige Fernsehshows verbreitet. Der Artikel in der Jerusalem Post war schwer zu ertragen und für einen Rabbiner unentschuldbar.

Boteach beglückwünscht sich dazu, dass er mit Jackson mehrmals Shabbat gefeiert und er ihn Elie Wiesel vorgestellt habe. Boteachs Jackson war auch weit davon entfernt, Schändlichkeiten zu begehen. Alles was er tat scheinen Einzelne des inneren Zirkels um ihn zu verantworten. Jacksons Angriffe auf Juden werden nicht erwähnt.

Sein Umgang mit den eigenen Kindern wird nicht aufgegriffen – so z.B., dass er sie bei Auftritten hinter Masken und Schleiern verbarg oder dass er ein Kind in höchst fahrlässiger Weise über eine Balkonbrüstung baumeln ließ.

Höchst interessant auch, dass Jacksons Umgang mit Kindern anderer Menschen, die von ihm in Haus und Bett eingeladen worden waren, mit keiner Silbe erwähnt wird; und eigentlich unnötig auch der Hinweis darauf, dass ein Umgang wie dieser mit fremden Kindern nach jüdischem Recht und jüdischer Tradition strengstens untersagt ist.

Boteachs sah Jackson zwar mit kleinen Makeln behaftet, aber zuerst als sympathische Person und allenfalls tragische Erscheinung, die sich durch einen „edlen Geist“ auszeichne.

Nein, das entspricht nicht der Wahrheit. Keine einzige jüdische Schule in den USA würde über Jacksons Leben jüdische Kinder so unterrichten wie Boteach es sieht. Sicher war Jackson ein großer Musiker und die Trauer über seinen Tod wird von Millionen geteilt; aber in Zeiten wie diesen wäre es für Rabbi Boteach und andere in unserer Gemeinschaft angebrachter, den Mund zu halten.


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*Der SPIEGEL spricht natürlich in der ihm eigenen Tonlage davon, dass die ADL "unterstellt" habe und beteiligt sich damit indirekt an Jacksons Verteidigung.
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Rabbi Eric H. Yoffie ist Präsident der Union for Reform Judaism. Mehr zu seiner Kurzvita am Ende des Originalartikels in der Jerusalem Post.

Dieser Artikel erschien erstmals in RJ.Org - News and Views on Reform Jews.

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