Samstag, Januar 05, 2008

Jesus Get Your Gun


Wem Quäker Waffen zugestehen…und wem nicht

Haben Sie schon einmal einen opulenten Western aus den 1950-er oder 1960-er Jahren gesehen? Ganz sicher. Und in dem einen oder anderen Streifen werden bestimmt auch „Quäker“ (Zitterer), auch Religiöse Gesellschaft der Freunde genannt - dargestellt worden sein. Der Begriff „Quäker“ ist mehr als eine historische Randnotiz wert: 1681 hatte der Quäker William Penn (Abbildung rechts; 1644-1718) die Besiedelung des später nach ihm benannten Pennsylvania im Nordosten der USA begründet und den verfolgten Glaubensbrüdern aus Großbritannien eine neue Heimat geschaffen. Quäker gelten im Protestantismus als Inbegriff des Pazifismus und der mystischen Versenkung. Die Umschreibung „Zitterer“, mit der die vormals Ernsten Sucher, Verkünder der Wahrheit oder Kinder des Lichts bedacht wurden, bezieht sich auf die konvulsionsartigen Erregungszustände, die bei ihren Versammlungen als Zeichen innerer Ergriffenheit gedeutet wurden. So kurz zur Historie und Umschreibung des Sujets.

Nun sind mehr als 300 Jahre seit der Kolonialisierung Pennsylvanias vergangen und längst hat wieder eine Quäker-Missionsbewegung, von den USA kommend, den europäischen Kontinent erreicht. In Hebron existiert eine Gruppe namens Christian Peace Teams (CPT), die behauptet, eine Denomination der Quäker zu sein. Was liegt also näher, als ihr zumindest gleiche Ziele und Verhaltensregeln wie der Gründergruppe zu unterstellen? Strikter Pazifismus - ohne Parteinnahme für die eine oder andere Gruppe? Dass CPT es mit dieser Prämisse nicht allzu ernst zu nehmen scheint, beweist ihre Haltung gegenüber der IDF („schwere Kriegsverbrechen“) und der laxe Umgang mit der Frage, ob denn palästinensische Kinder zum Frieden erzogen werden sollen oder nicht:

Hier - in Richtung Israel - der Vorwurf, Waffen zu tragen. Dort - vertretend für die Palästinenser - die Ermunterung zur schlechten Erziehung. Hier die Verweigerung des Rechts auf Selbstverteidigung - dort die Verharmlosung terroristischer Aktivitäten und das Hantieren mit Horrorzahlen, die keiner sachlichen Überprüfung standhalten. CPT "diagnostiziert" des Weiteren, „dass palästinensische Kinder nicht fern zu sehen brauchen oder gewalttätige Videospiele zu spielen, um von Schusswaffen begeistert zu werden“, denn, so lautet die „logische“ Schlussfolgerung der selbst ernannten christlichen Denominations-Pazifisten, „patrouillieren hier in Hebron den ganzen Tag über bewaffnete israelische Soldaten in den Straßen (manchmal auch nachts). Palästinensische Kinder sind täglich mit bewaffneten Soldaten an Straßensperren konfrontiert, wenn sie zur Schule oder nach Hause gehen. Sie sehen ständig bewaffnete Siedler in den Straßen zwischen den Siedlungen und der Synagoge.“

CPT ist auch schnell mit einem äußerst „einleuchtenden und praktikablen“ Vorschlag zur Hand, wie alle Probleme zu lösen sind. Und das geht so: „Schwer bewaffnetes israelisches Militär oder Siedler auf den Straßen“ sind „überflüssig“, da es doch „ungefährlicher sei, wenn sie nicht mit echten Waffen in Palästinensergebiet herumliefen.“ Jetzt stellt sich nur noch die Frage, ob der berechtigte Einwand der israelischen Soldaten, dass „wir unsere Zivilisten schützen“ müssen, obsolet ist oder nicht. Ich denke, die Frage ist sehr schnell zu beantworten. Das Argumentationsmuster CPT’s ähnelt in frappanter Weise demjenigen, wie es in einem Beitrag über die NGO’s schon angesprochen wurde.

Ami Isseroff vom Zionism & Israel Center hat in seinem kurzen Einwurf auf die offensichtliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei Christian Peace Teams (CPT) hingewiesen. Heplev hat den Artikel entdeckt und war so freundlich, ihn für Castollux zu übersetzen.


Jesus Get Your Gun

Quäker für Waffenbesitz

Ami Isseroff

Wir wissen, dass evangelikale Christen oft etwas gegen Waffengesetze haben. Es überrascht daher zu erfahren, dass die Christian Peace Teams (CPT) in Hebron, die behaupten, den Quäkern nahe zu stehen, sich dafür aussprechen, dass Kinder Kriegsspielzeug haben dürfen.

Sie haben schwere Menschenrechtsverletzungen durch die IDF aufgedeckt: Das israelische Militär verletzt das Recht, Spielzeugwaffen zu tragen. Sie schreiben:

Während des muslimischen Id al-Fitr-Festes (das Festes des Fastenbrechens), das am Ende des muslimischen heiligen Monats Ramadan statt findet, erhalten Kinder Id-al-Fitr-Geschenke: Neue Kleidung, Spielzeug und Süßigkeiten.

Übliches Id-al-Fidr-Geschenk für Jungen sind Spielzeug-Schusswaffen. Einige sind Wasserpistolen, andere verschießen kleine Plastikkugeln; und ein paar sehen richtigen Waffen verhängnisvoll ähnlich.

[...] Für das israelische Militär, so scheint es, sind echte Waffen in den Händen von Israelis akzeptabel, aber Spielzeugwaffen in den Händen palästinensischer Kinder sind inakzeptabel.

Vor ein paar Wochen sahen CPT-Mitglieder, wie schwer bewaffnete israelische Soldaten palästinensischen Geschäftsinhabern befahlen, die Spielzeugwaffen aus ihren Läden zu entfernen. Im Verlauf der letzten Woche haben Palästinenser von Vorfällen berichtet, bei denen israelische Soldaten Kindern Spielzeugwaffen abnahmen. Vor zwei Tagen sah ich mit Erstaunen, wie ein israelischer Soldat einem kleinen palästinensischen Kind eine kleine Waffe aus den Händen nahm. Als ich versuchte, den Vorfall zu fotografieren, versuchte ein weiterer Soldat, mich davon abzuhalten.

Er sagte mir: „Es ist gegen das Gesetz, dass ein Palästinenser eine Schusswaffe hat, die aussieht wie eine Schusswaffe oder so klingt, wie es Kracher tun. Das ist gefährlich. Die Kinder zielen damit auf uns. Wenn wir auf sie schießen, ist das ihr Fehler.“

(Derzeit steht der Text auf der Internetseite der CPT, und wurde am 23. Oktober 2007 eingestellt [Ami Isseroff]).

Weiter Isseroff:

Wie konnten diese fiesen militanten Juden sich in das Recht palästinensischer Kinder einmischen, Spielzeugwaffen tragen zu wollen? Schande!!

Palästinensische Araber brauchen dringend echte oder Spielzeugwaffen, um ihre Kinder in der Lehre Jesu zu bilden. Also bitte, wenn Sie irgendwelche Wasserpistolen, Lugers, Kracher und Spielzeug-Handgranaten, AK-47 und ähnliches entbehren können, stellen Sie sicher, dass diese an die CPT Hebron geschickt werden (cptheb@palnet.com). Nach Angaben des Christian Peace Teams ist das die christliche gute Tat, die Sie tun sollten. Sie können einen kleinen palästinensisch-arabischen Jungen richtig glücklich machen. Er kann eine Spielzeug-Handgranate (oder eine echte) auf einen bösen, kriegsverbrecherischen IDF-Soldaten werfen, und wenn der IDF-Soldat ihn ohne jeden Anlass erschießt, kann CPT Hebron erklären, dass es sich nur um ein Spielzeug gehandelt hat. Inzwischen wird der Junge als Märtyrer im Himmel sein und - wenn er alt genug ist - sicher seine 72 Jungfrauen bekommen.

Seien Sie im wahrhaft christlichen Geist großzügig und unterstützen Sie auch die Werte der amerikanischen National Rifle Association!

Ami Isseroff

Nachtrag in eigener Castollux- und Medien BackSpin-Sache: Besuchen Sie doch einmal die Webseite Teach Kids Peace und empfehlen Sie sie weiter. Danke!

Hattip: Heplev, U. Sahm

Donnerstag, Januar 03, 2008

Wenn Gott im Pfarrhaus abhanden kommt


Evangelium ohne Gott?

Pfarrer oder Theologen haben’s nicht leicht. Geben sie zu erkennen, welchem Beruf sie nachgehen oder welche Ausbildung sie haben, folgt nicht selten ein „Ja, dann müssen Sie ja einen besonders guten Draht zum lieben Gott haben“. Schreien könnte man ob solcher abgrundtief oberflächlichen Fragen und darauf erwidern, dass Anliegen wie diese nicht nach Dienstleistungskategorien „abgefertigt“ werden können. Und wie sieht es mit dem Fragesteller aus? Kann er seine Privatangelegenheiten mit dem Gott, an den er zu glauben vorgibt, nicht selbst besprechen, indem er sich betend die Bibel vornimmt? Oder einfach einen Mitchristen bitten, für ihn zu beten - oder mit ihm zusammen?

Nicht wenige evangelische Pfarrer empfinden ihre Berufung, die im „Tagesgeschäft“ natürlich auch „Beruf“ genannt wird, als schwere Bürde. Neben den vielen Aufgaben, die sie gleichzeitig zu bewältigen haben, schleichen sich im Laufe des Berufslebens Anfechtungen und Zweifel ein. Nun sind Zweifel und Glauben Geschwister. Und daran ist überhaupt nichts auszusetzen. Man würde sich in die eigene Tasche lügen, wenn man abstreitet, dass der Spagat zwischen beiden Polen ein Leben lang geübt werden muss. Ein Mensch, der von sich behauptet, er habe seinen Glauben zu diesem oder jenem Zeitpunkt oder da oder dort empfangen oder angenommen und ihn bis heute in der gleichen Form bewahrt, löst bei mir erst einmal skeptisches Kopfschütteln aus, weil dies m.E. nicht nur (geistlichen) Stillstand bedeutet, sondern auch deshalb, weil diese Haltung ein „Verwalten“ und „Verfügen“ des Glaubens impliziert, das sehr viel mit Werkgerechtigkeit zu tun hat. In diesem Fall sieht man den Glauben als Eigenleistung und setzt seinen (falschen) Stolz darauf.

Bei Pfarrern wird oft vorausgesetzt, dass ihr Gottesbild fest im biblischen Fundament verankert sei. Doch wie verhält es sich, wenn ein Pfarrer seinen Glauben an Gott verliert und in eine Sinnkrise stürzt? In den Niederlanden wurde anhand einer Untersuchung festgestellt, dass ein gutes Fünftel aller Pfarrer und Theologen an der Existenz des biblischen Gottes zweifelt. Man kann davon ausgehen, dass sich die Studie auf Deutschland übertragen lässt.

Deutschlandradio Kultur hat das Thema aufgegriffen und in einem Beitrag verarbeitet. Castollux hat den Text unbearbeitet übernommen.


Atheisten auf der Kanzel

Niederländische Pfarrer zweifeln an Gott

Von Michael Hollenbach

Wer die Worte Christi verkündet, der muss sich sicher sein. Zweifel an der Existenz und Allmacht Gottes sind in dem Beruf des Pfarrers nicht vorgesehen. Doch eine niederländische Studie zeigt, dass Theologen damit häufig Probleme haben. 16 Prozent der Pfarrer sind sich Gott nicht sicher, 2 Prozent gestehen ein, nicht zu glauben.

Wir bekennen unseren christlichen Glauben: Ich glaube an Gott, den Vater.

"Ich bringe es für mich immer so auf die Formulierung: Ob es einen Gott gibt, kann ich nicht sagen, ob es einen Gott nicht gibt, kann ich nicht sagen, die Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht, stellt sich für mich nicht mehr. Mir sind andere Sachen wichtig geworden", sagt der Hamburger Mario Buletta. "Ich bin gelernter evangelischer Pfarrer und ich mache jetzt Kabarett, Moderationen, rhetorische Schulungen und führe Regie im Bereich Kleinkunst." Mario Buletta ist einer von Hunderten von Theologen, die ihren Glauben verloren haben. Mario Buletta hat die Konsequenzen gezogen und seinen Talar an den Nagel gehängt:

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Viele, die als Pastorinnen und Pastoren von Berufs wegen an Gott glauben müssten, wissen nicht mehr so recht, woran sie glauben sollen, sagt der niederländische Religionssoziologe Hijme Stoffels. Er hat den Glauben holländischer Pfarrerinnen und Pfarrer untersucht. Eines seiner Ergebnisse: Für die meisten Theologen ist Gott so etwas wie Licht, Kraft oder eine Vaterfigur, aber ein allmächtiger Schöpfer des Himmels und der Erde ist er nur noch für 40 Prozent der evangelischen Theologen. "Die Leute zwischen 35 und 65, das ist nur eine Minderheit, die sich darin finden kann mit der Deutung: Gott als Allmächtiger." "Ich bin ein Pfarrer und ein Atheist", sagt Klaas Hendrikse. Er ist Pastor der evangelischen Gemeinde im niederländischen Middelburg.

Ist er auch ein Christ? "Ich bin ein Christ, aber ich fühle mich nicht sehr christlich. Ich bin ein christlicher Pfarrer, deshalb ist es schon heftig zu sagen: Ich bin kein Christ. Ich bin hier in einer christlichen Kultur aufgewachsen, ich arbeite in einer christlichen Kirche, aber ich bin mir ziemlich sicher, wenn ich zum Beispiel in Thailand geboren wäre, dann wäre ich kein Christ." Damit zählt Klaas Hendrikse zu jenen Theologen, die gar nicht oder nicht mehr an Gott glauben. Der holländische Religionssoziologe Hijme Stoffels hat bei seiner Untersuchung festgestellt, dass ein erheblicher Teil der niederländischen Pfarrerinnen und Pfarrer Probleme mit dem Glauben hat: "Dann haben wir gefunden, dass 16 Prozent Zweifel an Gott hat und sogar zwei Prozent, die gesagt haben: Ich glaube nicht, dass es einen Gott gibt."

Immerhin: Wenn man die Prozentangaben hochrechnet, bedeutet das: Unter den evangelischen Pfarrern der Niederlande gibt es rund 70 Atheisten und der Amsterdamer Wissenschaftler ist überzeugt, dass sich die Ergebnisse seiner Studie auf die deutsche Pfarrerschaft übertragen lassen. Das würde bedeuten, das es hierzulande rund 450 atheistische, protestantische Pastoren gibt. "Ich hatte nicht erwartet, dass so viele Pastoren einen so existenziellen Zweifel an Gott haben würden, eine kleine Gruppe schon, aber das einer von sechs Pastoren sagt: Ich bezweifle, dass es Gott gibt. Das hat auch einen kleinen Sturm in der Kirche verursacht, dass Gemeindemitglieder ihren Pastor gefragt haben: Sind Sie auch ein solcher, der nicht an Gott glaubt?"

Klaas Hendrikse ist so einer. "Ich glaube nicht, dass Gott existiert, aber ich glaube an Gott." Der evangelische Pfarrer ist sich sicher: "Gott ist der Name für eine Erfahrung." Hendrikse unterscheidet zwischen eher belanglosen Erfahrungen, die nicht weiter bedeutend sind, und jenen Erfahrungen, Erlebnissen, die einen Menschen tief bewegen: "Was kann alles auf der Ebene der zwischenmenschlichen Erfahrungen passieren? Eines der Worte, mit dem man das beschreiben kann, ist Gott. Das ist es, wie ich Gott sehe: Es ist der Name für etwas, was man nur schwer begreifen kann, aber es ist nur ein Wort für Gott." Dieses Göttliche passiere zwischen den Menschen: nicht unbedingt in Gesprächen, sondern auch durch Schweigen, durch Gesten, durch Berührungen. "Du kannst das Gott nennen. Ich nenne es Gott."

Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.

Nein, Klaas Hendrikse glaubt als atheistischer Pfarrer nicht an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben
. Allerdings glaubt er daran, bald Ärger mit seiner Kirche zu bekommen. Der Grund: In diesen Tagen erscheint sein Buch, in dem er begründet, warum er nicht an die Existenz Gottes glaubt.

Sonntag, Dezember 30, 2007

Die "DDR-Keule"


Oder: Ohne Bildung fand (fast) keine Geschichte statt

Man wäre fast geneigt, die in der Unterüberschrift aufgestellte These grundsätzlich so zu vertreten, gäbe es nicht immer wieder Ausnahmen. Vielleicht zählte sich aber der hessische Gymnasiast aus Wiesbaden, der während der Weihnachtsferien seine Schulakte zerstören wollte und dabei einen Millionenschaden verursachte, nicht zum Kreis derer, die noch daran glauben, dass sie die berühmte Kurve kriegen. Sehr schade - abgesehen davon, dass sein Verhalten noch viel schlimmere Folgen haben und Menschenleben hätte fordern können.

Wer hat wann die Mauer gebaut? Ich gehe einmal davon aus, dass der Schüler das weiß - wenigstens, was den „Bauherrn“ betrifft. Wenn ja, hätte dieses erhabene Gefühl, Geschichtswissen in sich zu tragen, ihn dann von seinem Vorhaben abgebracht?

Eines konnte er mit Sicherheit nicht wissen - und das hätte ihn mit ziemlicher Sicherheit von seinem leicht pyromanischen Drang abgehalten: Er kannte die Untersuchungen der Freien Universität Berlin (FU) zum DDR-Bild von Schülern in Berlin und Nordrhein-Westfalen nicht, die im November 2007 durchgeführt wurden. Hätte er die Zeilen zum Bildungsstand der angesprochenen Schüler eingehend studiert, wäre ihm vielleicht nicht in den Sinn gekommen, solch’ gefährlichen Unsinn zu veranstalten. Er hätte sich ob seines Wissens glücklich geschätzt und halt’ eine Ehrenrunde gedreht. Ist schon so manchem Nobelpreisträger passiert. Im zweiten Anlauf kapiert man den Lernstoff umso besser.

Die Studie des
FU-Forscherteams hatte diagnostiziert, dass bei den Schülern - zum Entsetzen der Bildungsministerien der untersuchten Länder - ein erschreckendes Defizit an Geschichtswissen herrscht. Was die Wissenschaftler zu lesen bekamen, liest sich wie das „Who is Who“ aus der Klippschule. Entschuldigung an alle Klipp-ABC-Schützen! So glaubte jeder zweite brandenburgische Schüler, „dass der SED-Staat keine Diktatur gewesen ist“, jeder dritte hält Konrad Adenauer und Willy Brandt für DDR-Politiker und 25% glauben, dass das Ministerium für Staatssicherheit ein Geheimdienst wie jeder andere gewesen sei. Bei so viel Schönfärberei konnte natürlich auch die gepfefferte Dosis Hochmut nicht ausbleiben, die jedem innewohnt, der sein Scheitern nicht eingestehen will, dies aber a posteriori gerne als Sieg deklariert: „Unser DDR-Wirtschaftssystem war […] dem der alten […] Bundesrepublik überlegen.“ Nun kann man dem lieben Nachwuchs nicht unbedingt gram dafür sein, wenn er nicht weiß, dass die DDR 1989 vor dem wirtschaftlichen Kollaps stand (trotz eines von F. J. Strauß 1983 eingefädelten Milliardenkredits), denn die heute etwa 16-Jährigen könnten sich im Notfall auf nostalgische Reminiszenzen ihrer Eltern berufen. Aber nicht nur darauf….

Zwischenzeitlich liegen Ergebnisse für Brandenburg vor. Sie beziehen sich auf 750 Schüler der 10. und 11. Klassen in Potsdam, Neuruppin und Frankfurt/Oder. Man mag jetzt einwenden, dass der repräsentative Querschnitt zu klein für eine aussagekräftige Erhebung sei; andererseits lässt sich aber auch ins Feld führen, dass die Studien an drei verschiedenen Orten für die gleichen Jahrgangsstufen durchgeführt wurden. Also ist davon auszugehen, dass auch eine größere Zahl Befragter das Ergebnis nicht verändert hätte.

„Das Land Brandenburg hat sich nicht mit seinen pädagogischen Altlasten auseinandergesetzt“, so das vernichtende Urteil des für die Studie verantwortlich zeichnenden Politologen Klaus Schroeder. Dabei hätte man nach der Wende Reformbewegungen einleiten können, wenn man die gut 200 eigens zu diesem Zweck zusätzlich in Geschichte ausgebildeten Lehrer in den Staatsdienst übernommen hätte. Dass es dazu nicht kam, liegt im Zuständigkeitsbereich des brandenburgischen Bildungsministeriums, das sich, so der zuständige Sprecher Stephan Breiding, über die Studie „nicht gefreut" hat. Gleichwohl weist er aber entrüstet die Feststellung Klaus Schroeders, dass „die alten Seilschaften das verhindert“ haben, mit der „Entschuldigung“ zurück, dass es zur Wendezeit „zu viele Lehrer im System“ gegeben hätte. Warum wurde dann nicht ausgetauscht, als die 200 Lehrer ihre Zusatzausbildung hatten? Nur mal so gefragt.

Höchst interessant jedenfalls, wie die Reaktionen brandenburgischer Spitzenpolitiker auf die Ergebnisse der Studie ausfielen. Hier zwei Beispiele: Während Parlamentspräsident Fritsch (SPD) forderte, „Fakten über die DDR zu vermitteln, aber nicht zu indoktrinieren“ (sic), lässt Innenminister Schönbohm (CDU) konstatierend-konsterniert vernehmen, dass das Ergebnis der Studie „bestürzend“ sei. Ach je, was bewegt Herrn Fritsch dazu, gleich im Vornherein „Indoktrination“ zu wittern - er, der vor ein paar Wochen kräftig der Verkündigung des neuen „Demokratischen Sozialismus“ zustimmte? Warum kann er nicht sachlich bleiben?

Jedenfalls muss es mehr als bedenklich stimmen, wenn eine falsch verstandene Sozialromantik die Schrecken der DDR-Diktatur immer mehr verblassen lässt. Das Statement "Gut, dass in der DDR jeder einen Arbeitsplatz hatte, auch wenn der Staat die Löhne bestimmte und der Wohlstand gering war" weckt falsche Assoziationen und verlängert die Halbwertzeit der deliriös verklärten, rückwärts gewandten Nabelschau, und irgendwoher kennen wir dieses Statement schon, nicht wahr? Oder wenn Fritsch und SPD-Generalsekretär Klaus Ness vor pauschalen Schuldzuweisungen warnen, denn es helfe nicht, so Ness, „reflexhaft die DDR-Keule herauszuholen, weil das nur das Gegenteil auslöse, 'nämlich Abwehrreflexe’". Auch das kennen wir. Und wie schlimm - es „löst Abwehrreflexe“ aus. Danke auch schön, sehr geehrter Herr Ness....

Nein, der ehemalige Stasi-Beauftragte Joachim Gauck trifft es schon richtig, wenn er darauf hinweist, dass die Unkenntnis über die DDR vor allem mit der persönlichen Verstricktheit der Ost-Lehrer zusammenhänge, die „zu lange selbst Diener der Diktatur“ gewesen seien und darum das Thema im Unterricht, so weit es geht, aussparen. Warum stellt man sich dieser Tatsache nicht? Der CDU-Abgeordnete Dieter Dombrowski, jahrelang in der DDR aus politischen Gründen inhaftiert, fügt Gauck ergänzend hinzu, dass „es nicht länger im Ermessen der Lehrer liegen dürfe, ob und wie die DDR behandelt werde“, sondern vom Bildungsministerium über die Schulämter durchgesetzt werden müsse. Es sei „eine Schande“, wenn in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen mittlerweile 15.000 Schüler aus Bayern waren, „aber nur einige Hundert aus Brandenburg“. Dem ließe sich hinzufügen, dass die Täter, die den Ort ihrer früheren Wirkungsstätte besuchen, sich auch noch ausnehmend schlecht und uneinsichtig benehmen.

Googelt man im Internet unter „ddr“, werden gut 115 Millionen Einträge angezeigt. Natürlich sind einige dabei, die
sich dem Sujet auf satirische Weise nähern. Was mir jedoch auffiel: Die Verharmlosung des totalitären Unrechtstaates DDR ist einfach nicht aus den Köpfen zu bekommen. Und woher kommen 115 Millionen Einträge?

Kleines DDR-Quiz: Ab 32 richtig beantworteten Fragen von 40 (80%) attestiert die WELT ein solides Wissen über die DDR. Bitte nicht schummeln.